Klavierabend am 7. Juli 2019

In diesem Sonderkonzert traten acht besonders junge Pianistinnen und Pianisten auf. Sie waren erst 12 bis 14 Jahre alt, wurden aber schon vielfach mit Preisen bei nationalen und internationalen Jugendwettbewerben ausgezeichnet. Beim letzten Wettbewerb Jugend musiziert für Klavier Solo im Jahr 2017 errangen alle acht einen 1. Landespreis, konnten altersbedingt jedoch noch nicht zum Bundeswettbewerb weitergeleitet werden. Bei uns spielten sie das folgende Programm:

Frédéric Chopin 1810 - 1849

Scherzo Nr. 2 b-Moll op. 31

Presto con fuoco

Maria Schlumberger-Ruiz, Klavier

 

Robert Schumann 1810 - 1856

Thème sur le nom Abegg F-Dur op. 1                       

Thema Animato - Variations I - II - III - Cantabile - Finale alla Fantasia Vivace

Hanming Deng, Klavier

 

Frédéric Chopin

Ballade Nr. 2 F-Dur op. 38

Andantino - Presto con fuoco - Tempo primo - Presto con fuoco - Agitato - Tempo primo

Gia Nghi Bui, Klavier

 

Sergei Prokofjew 1891 - 1953

Sonate Nr. 3 a-Moll op. 28 Après vieux cahiers (1917)

Tianyi Cui, Klavier   

 

Frédéric Chopin                       

aus Études op. 10                      

1  C-Dur Allegro

2  a-Moll Allegro

3  E-Dur Lento ma non troppo

4  cis-Moll Presto con fuoco

Vitus Polley, Klavier

 

Ludwig van Beethoven 1770 - 1827

aus Sonate Nr. 26 Es-Dur op. 81a Les Adieux

2  Andante espressivo - Abwesenheit

3  Vivacissimamente - Das Wiedersehen

Lea Sophie Karck, Klavier

 

Olivier Messiaen 1908 - 1992                    

aus Préludes pour piano                       

8  Un reflet dans le vent

Anna Ulmschneider, Klavier

 

Franz Liszt 1811 - 1886                      

aus Années de pèlerinage Première année

2  Au Lac de Wallenstadt - Andante placido

5  Orage - Allegro molto, Presto furioso

Anna Ulmschneider, Klavier

 

Frédéric Chopin                       

Andante spianato et Grande Polonaise brillante Es-Dur op. 22     

Lisa-Marie Ehrenfried, Klavier

Die Interpreten

Zu den Werken

Nicht zufällig finden sich im heutigen Programm mehrere Werke Chopins, ist doch das Studium seines Oeuvres und seiner Technik unerlässlich für den Aufbau pianistischen Könnens. Chopin revolutionierte das Klavierspiel wie vor ihm nur Bach und Beethoven, und ohne Chopin ist die Entwicklung hin zu Rachmaninoff, Debussy oder Skrjabin nicht denkbar.

 

„Hut ab meine Herren, ein Genie“, hatte Schumann anlässlich des Chopinschen op.1, der Variationen über Don Giovanni geschrieben. Und wenn nach Goethe das Genie in der Einsamkeit reift, d.h. aus sich selbst schöpfend andere inspiriert, dann ist dies sicher für Chopin in besonderer Weise zutreffend. Als Beethoven starb, war er siebzehn Jahre alt und hatte längst seinen eigenen Stil entwickelt. Auch ist der Einfluss von Liszt und Schumann auf Chopin gleich Null, umgekehrt jedoch klar erkennbar.

 

Besonders deutlich werden die Errungenschaften der Chopinschen Neuerungen, wenn man einen Blick auf seine Etüden wirft, die übrigens Werner Haas legendär interpretierte. Wie alle Werke Chopins so erfordern diese doch besonders einen völlig freien und flexiblen Spielapparat, um die weitgespannten Arpeggien in der Etüde Nr. 1, komplexen Doppelgriffstrukturen in den Etüden Nr. 2 und 3 und vertrackten Spielfiguren in der Etüde Nr.4 im von Chopin sehr häufig geforderten Legato, einem singenden Ton, vortragen zu können. Diesen singenden Ton, eine gewisse Nobilität des Klanges, verlässt Chopin nie ganz, auch nicht in seinen scharfen, nächtlichen, gleichsam klirrenden Werken - hier liegt ein klarer Unterschied der Klanggestaltung zu Liszt. Die 3. Etüde ist ganz speziell dem kantablen Spiel gewidmet, beinhaltet aber im Mittelteil eine dramatische Klimax.

 

Scherzo Nr. 2 und Andante spianato et Grande Polonaise brillante Es-Dur gehören zu jenen Werken Chopins, die eine strahlende, positive Botschaft verkünden, anders als die zwar in F-Dur beginnende, jedoch im dürren a-Moll endende 2. Ballade. In ihr kämpfen Dunkelheit und Licht in extremem Gegensatz. Das Scherzo Nr.2 beginnt zwar in b-Moll, wendet sich aber alsbald in Dur-Gefilde und endet in einem enthusiastischen Des-Dur. Die Grande Polonaise brillante wurde zunächst als für sich stehendes Werk komponiert, erst später stellte Chopin das Andante spianato voran. Ursprünglich für Klavier und Orchester gedacht, wird das Werk seit jeher auch in der Fassung für Klavier Solo aufgeführt, wobei das Klavier dann den nicht besonders umfangreichen Orchesterpart mit übernimmt.

 

Der wie Chopin 1810 geborene Robert Schumann schuf in seinen Variationen op.1 eine musikalische Reminiszenz an die Comtesse d'Abegg: A-B-E-G-G sind die das Thema des Werkes bildenden Klänge, welches in Variationen von faszinierender Vielfalt ausgeleuchtet wird. Schumann zeigt sich hier von seiner virtuosesten, brillantesten, auch humorvollen Seite. Die extrovertierte Seite seines Wesens, die er personalisierte und Florestan nannte und in den Gegensatz zum grüblerischen, in sich gekehrten Eusebius setzte, bestimmt eigentlich sein ganzes Opus 1. Florestan in Reinkultur, könnte man sagen, es wird so im gesamten Schaffen Schumanns nie wieder anzutreffen sein.

 

„Die Geisel der Erardschen Pianos, die schon bei der Nachricht seines Kommens erzittern" (Heinrich Heine),  „dieser Mensch muss zum Schweigen gebracht werden“ (Eduard Hanslick), „sein Stil ist bisweilen rüde und brutal“ (Clara Schumann), „und wie er doch außerordentlich spielt und kühn und toll und wieder zart und duftig“ (Schumann), „Liszt .... hat mir durch sein wirklich meisterliches Spiel und durch das innerliche musikalische Wesen, das ihm bis in die Fingerspitzen läuft, eine sehr große Freude gemacht. Seine Schnelligkeit und Gelenkigkeit, vor allen Dingen aber sein Vom-Blatt-Spielen, sein Gedächtnis und die gänzliche Durchdringung von Musik sind ganz einzig in ihrer Art, und ich habe sie niemals übertroffen gesehen“ (Mendelssohn) ... man könnte diese extrem konträren Wahrnehmungen Liszts noch endlos fortsetzen.

 

Provokation (ein Wesensmerkmal von Kunst), extreme Gegensätzlichkeit, kreative Unruhe, „ein turbulenter, bisweilen cholerischer Demagoge, der alles fordert, alles....und sei es nur die stabile Konstruktion seines Klaviers, denn er ist durchaus in der Lage, ein solches an einem Abend in den Orkus zu befördern“ (Clara Schumann), all das verkörperte Franz Liszt. Ab 1848 hatte er sich von einer triumphalen Pianistenkarriere zurückgezogen, um sich fortan der Komposition und dem Unterrichten zu widmen.

 

Seine Années de Pèlerinage sind Vorbilder und Anfänge des musikalischen Impressionismus. Einen bedeutenden, von vielen als den entscheidend angesehenen Impuls, dass sich absolute Musik überhaupt der Darstellung außermusikalischer Inhalte öffnete, hatte zuvor Beethoven durch seine 6. Symphonie, der Pastoralsymphonie, gegeben. Diese lässt sich in fünf Sätzen durch außermusikalische Szenen und „Impressionen“, die auch explizit in der Partitur benannt werden, inspirieren.

 

Auch die Les Adieux Sonate folgt dieser Konzeption, als einzige der 32 Klaviersolosonaten. Da von dieser Sonate an dieser Stelle schon mehrfach gesprochen wurde, sei auf die Begleittexte der Werner Haas Podien der Jahre 2011 und 2016 verwiesen, in welchen die ganze Sonate jeweils live von Jonas Emanuel Haffner und Marvin Pecher vorgetragen wurde und auch auf den CDs 1 und 3 des Jungen Klavierpodiums nachzuhören ist.

 

„Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“, dieses Motto hatte Beethoven der Pastoralsymphonie vorangestellt, und wenn nun Liszt einzelne Stücke seiner Années mit Texten von George Gordon Byron überschreibt, dann werden die in diesen Kompositionen angelegten Naturbetrachtungen zu Spiegelbildern der menschlichen Seele. Lac de Wallenstadt: „Dein See im Gegensatz zu der wilden Welt, in der ich weilte, ist etwas, das mich, in seiner Stille, der Erde aufgewühlt Gewässer für einen reineren Frühling zu entsagen mahnt.“ Orage: „Doch welcher von Euch, oh Stürme! ist das Ziel? Seid Ihr wie jene in des Menschen Brust? Oder findet ihr, wie Adler, schließlich einen Horst?“

 

Der junge Olivier Messiaen hat seinerseits stets betont, wie bedeutsam für ihn das Studium Debussys und Ravels war. Für seine Préludes machte er dies in besonderer Weise geltend. Die Betrachtung der Natur hatte aber für ihn als tiefreligiösem Menschen, der schon in seiner Kindheit pantheistische Vorstellungen entwickelte, eine transzendierende Dimension, denn er sah in der Natur auch Gott. Es verwundert nicht, wenn deutliche Verwandtschaften zu hören sind zwischen seinem Prélude und "Un reflet dans le vent" (schon der Titel ist auch eine Hommage an Debussys "Reflets dans l‘eau“) zu späteren Werken explizit religiösen Charakters wie „Regard l‘esprit de joie“, siehe auch CD 1 des jungen Klavierpodiums in einer live Interpretation mit Xiao Xiao Zhu.

 

In der leider unvollendeten Diskografie von Werner Haas findet sich von Beginn an ein unverkennbares Interesse an der Musik der klassischen Moderne mit der Sonate von Strawinsky, der 2. Sonate von Prokofjew oder der Sonate von Kabalewsky. Dass sich junge Pianisten heute schon in jüngeren Jahren für diese spannende musikgeschichtliche Epoche interessieren, hätte ihn sicher erfreut. Die 3. Sonate Prokofjews entstand, wenngleich auf ältere Skizzen zurückgreifend, 1917 in einer Zeit extremen Aufruhrs und revolutionärer Unruhen.

 

In dieser einsätzigen und kürzesten seiner Sonaten, lassen sich gleichsam vier Untersätze erkennen, wobei der erste und letzte Untersatz in toccatenartig durchgängig triolischer Rhythmik konzipiert sind, in dem Energie, Agressivität, Groteske und Sarkasmus, Geheimnis, Bedrohung sich in einem jagenden Tanz abwechselnd aufscheinen und wieder zurücktreten. Der 2. Untersatz entspricht dann dem langsamen Satz und entwirft eine lyrische Gegenwelt, dem Mittel der Verfremdung folgend. Den 3. Untersatz müsste man als eine Art Durchführungssatz bezeichnen, insofern er Themen und Motive der Sonate verknüpft und fast einen eigenen, dramatischen Verlauf beinhaltet, der auf einen gigantischen Höhepunkt zustrebt und dann in einer langen Fermate gleichsam in sich zusammensinkt. Der 4. Untersatz beginnt im Verklingen dieses Fermatenklanges wieder aus dem Nichts.

 

Romuald Noll, 2019

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