Elisabeth Hermelink (15) und Paul Schäufele (19) spielen im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle. Ausschnittte aus dem Konzert sind
auf unsere CD-Album 2 und CD-Album 3 zu hören.
Ludwig van Beethoven 1770-1827
Sonate Nr. 18 Es-Dur op. 31 Nr. 3
1 Allegro - 2 Scherzo. Alegretto vivace - 3 Menuetto. Moderato e grazioso - 4 Presto con fuoco
Frédéric Chopin 1810-1849
Ballade g-Moll op. 23
Nocturne Des-Dur op. 27 Nr. 2
Scherzo cis-Moll op. 39
Elisabeth Hermelink, Klavier
- Pause -
Joseph Haydn 1732-1809
Sonate Es-Dur Hob. XVI:52
1 Allegro - 2 Adagio - 3 Finale. Presto
Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847
Variations sérieuses op. 54
Sergei Rachmaninoff 1873-1943
Études-tableaux op. 39.1 Allegro agitato
Prélude gis-Moll op. 32.12 Allegro
Études-tableaux op. 39.9 Allegro moderato. Tempo die marcia
Paul Schäufele, Klavier
Elisabeth Hermelink wurde im September 1999 in München geboren. Kaum ein Jahr alt, zog sie mit ihrer Familie nach New York. Dort stand im Wohnzimmer ein einfaches digitales Klavier, auf dem ihre ältere Schwester Cindy nach der Schule spielte. Lissy sang und tanzte dazu. Mit fünf Jahren, inzwischen nach London umgezogen, erhielt sie ihren ersten Klavierunterricht und gewann schon bald einen 1. Preis im Regionalwettbewerb Jugend musiziert. Lissy tanzte nun auch Ballett, Tap und Jazz und erhielt Gesangsunterricht bei Helen Winter.
Mit sieben Jahren zurück in München, begann Lissy zusätzlich Geige zu lernen. Im Jahr 2008 kam die Familie schließlich nach Stuttgart, wo Lissy seitdem an der
Stuttgarter Musikschule in der Klavierklasse von Nella Jussow unterrichtet wird, seit 2010 besonders gefördert in der Begabtenklasse der Stuttgarter Musikschule. Seit einem Jahr wird sie dabei
zusätzlich vom Pianisten Andrej Jussow unterrichtet.
Lissy ist mehrfache Bundespreisträgerin bei Jugend musiziert in den Kategorien Klaviersolo und Klavierkammermusik. Sie hat außerdem zahlreiche Preise bei wichtigen nationalen und internationalen
Klavierwettbewerben gewonnen, so beim Bitburger und beim Nürnberger Klavierwettbewerb, beim Wiener Pianisten-Wettbewerb, beim Rosario-Marciano-Wettbewerb, beim Steinway Klavierwettbewerb, beim Rotary
Klavierwettbewerb der Jugend und beim Bachwettbewerb in Köthen. 2013 gewann sie zwölf Preise beim Internationalen Münchner Klavierpodium und wurde von der Lang Lang Foundation zur Teilnahme am
internationalen Junior Music Camp in München ausgewählt.
Mit dem Jugendsinfonieorchester Stuttgart spielte Lissy 2013 das 1. Klavierkonzert von Beethoven, 2014 mit dem Jungen Kammerorchester Stuttgart das Bach Klavierkonzert in d-Moll erst in Venedig und
dann in Stuttgart. Im April 2014 gewann sie den 1. Preis beim kleinen Schumann Wettbewerb in Zwickau. Sie konzertierte im Barocksaal des Tegernseer Schlosses und im Steinway Haus München. Lissy nahm
an Meisterkursen von Konrad Elser, Matthias Kirschnereit, Roland Pröll, Wolfram Schmitt-Leonardy und Anna Gourari teil.
Seit 2013 besucht Lissy den Musikgymnasiumszug für musikalisch Hochbegabte im Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart, womit ergänzender Theorieunterricht und Gesangsunterricht bei Rosina Ragg an der
Hochschule für Musik Stuttgart verbunden ist. Nach dem Abitur im nächsten Jahr möchte sie dann Klavier studieren.
2015 ist Elisabeth Hermelink Stipendiatin des Jungen Klavierpodiums Werner Haas.
Paul Schäufele wurde 1996 in Crailsheim geboren. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er mit fünf Jahren bei der Pianistin und Cellistin Magdalena Dratwa, die ihn früh förderte. So nahm er bereits 2005 regelmäßig am Unterricht des iranischen Konzertpianisten und Tureck-Schülers Ramin Bahrami teil. Erste solistische Konzerterfahrungen fallen in die Grundschulzeit. In diesem Jahr wechselte er zu weiterer Ausbildung zu Bezirkskantorin Stefanie Pfender in Kirchberg, bei der er auch das Orgelspiel erlernte. Bereits mit zwölf Jahren übernahm er erste kirchenmusikalische Aufgaben. Zu dieser Zeit wurde dann auch sein besonderes Interesse an Alter Musik geweckt.
2007 wurde Alla Schuljakowski seine Lehrerin, zunächst in Schwäbisch Hall, dann an der Stuttgarter Musikschule. Dort erhielt er als begabter Schüler von Anfang an
besondere Förderung, seit 2010 in der Studienvorbereitenden Klasse. Er wirkte bei vielen Konzertveranstaltungen der Stuttgarter Musikschule mit, die Konzertiven "Wirtschaft trifft Musik" 2011 und
2014 im Mercedes-Benz-Museum sind Beispiele dafür.
Paul ist mehrfacher Bundespreisträger bei Jugend musiziert in den Kategorien Klaviersolo und Klavierkammermusik. Im Juni 2014 wurde er Preisträger des internationalen Münchner Klavierpodiums. Er
besuchte Meisterkurse bei Matthias Kirschnereit und Konrad Elser. Besondere künstlerische Anregungen verdankt er Felix Gottlieb. Um seine Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis zu vertiefen,
erhält er seit Februar 2014 Cembalo- und Generalbassunterricht bei Ingeborg Dahlke an der Stuttgarter Musikschule.
Neben seinen breit gefächerten musikalischen Interessen - er ist Mitglied der Robert-Schumann-Gesellschaft-Zwickau - beschäftigt sich Paul mit alten Sprachen, Literatur und Theater. Ein an der
Universität Stuttgart absolviertes Frühstudium der Neueren Deutschen Literatur legt Zeugnis davon ab. Sein Abitur machte er im Juni 2015 am Peutinger-Gymnasium in Ellwangen an der Jagst mit den
Profilfächern Musik und Latein und wird nun ein Studium der Musik beginnen.
2015 ist Paul Schäufele Stipendiat des Jungen Klavierpodiums Werner Haas.
Wer Beethovens 18. Klaviersonate auf das Podium bringt, muss neben einem ausgeprägten Sinn für Humor und einem gleichsam sprechenden Musiziertstil über eine hervorragende Technik verfügen, die es ermöglicht, vertrackte Spielsituationen in Leichtigkeit aufzulösen.
Manchem ist die Sonate als diejenige mit dem Wachtelschlag bekannt. Tatsächlich beginnt die Sonate mit einem punktierten Rhythmus, der entsprechende Assoziationen
durchaus nahelegen kann. Diese rhythmische Figur ist mit einem sogenannten sixteajoutée Akkord auf der Subdominante As, dem die Sext F hinzugefügt ist, harmonisiert, ein Akkord, der eine eigentümlich
schwebende Stimmung verbreitet. Die 18. Sonate ist somit neben der letzten Klaviersonate op. 111 die einzige Klaviersonate Beethovens, die nicht mit einem reinen Dur-oder Moll-Dreiklang
eröffnet.
Das 1. Thema beinhaltet drei Elemente, die in der 18. Sonate in besonderer Weise allgegenwärtig sind und prozesshaft verknüpft immer wieder eine zentrale Rolle spielen. Ein schwebender, fragender
Beginn, Aufbruch, Suche und schließlich Finden, Bestätigung und Auflösen: Erst im 6. Takt wird die Haupttonart Es-Dur gefunden und erst im 8. Takt durch eine Kadenz bestätigt. Das in op. 31/3 immer
wieder kehrende Spiel mit diesen Elementen pflanzt der Sonate etwas Humorvolles, kapriziös Unberechenbares ein.
Im 2. Thema beispielsweise verläuft der Prozess umgekehrt. Es beginnt regulär wie es sich gehört in B-Dur, unterbricht sich dann quasi selbst durch chaotische Figurationen wie 5-tolen und 12-tolen,
um schließlich wieder in die schwungvolle Bewegung zurückzukehren, mit der es das Stop-and-Go des ersten Themas abgelöst hat.
Im 2. Satz dominiert eine fortlaufende Staccatobewegung der linken Hand, die rechte steuert im Wechsel teils melodische Einfälle bei, teils mischt sie beim bunten Staccatotreiben kräftig mit. Auch
hier wird immer wieder Bewegung unterbrochen, gesucht und wiedergefunden. Die Bezeichnung Scherzo ist hier übrigens schon in sich kapriziös, insofern ein Scherzo üblicherweise im 3/4-Takt steht und
nicht im 2/4-Takt, ebenso wie die Bezeichnung Allegretto vivace widersprüchlich scheint. Auch die Platzierung des Scherzos als 2. Satz anstelle des langsamen Satzes ist erstmalig und unerwartet. Der
Sonate fehlt zudem ein langsamer Satz, stattdessen steht ein Minuetto, dessen Trio wiederum so herrlich unnachahmlich von den oben beschriebenen Charakteristika lebt.
Das Prestofinale könnte auch den Untertitel Tarantella führen. Auch hier wieder ein Beginn, dieses Mal auf einer Septakkord-Konstruktion, der sich selbst unterbricht, es nochmals versucht und dann
erst in den Tarantellawirbeln sich verliert. Auch die Coda des Satzes spielt mit den zu Beginn der Sonate eingeführten Mitteln der Überraschung.
Wie in allen seinen Sonaten hält Beethoven in op. 31/3 an Kleinstmotiven fest, die in den vier Sätzen, sei es ganz plakativ, sei es eher im Verborgenen, immer wieder auftauchen. Hier wäre schlicht
die repetierte Note des 1. Themas des 1. Satzes zu nennen. Sie wird im Scherzo an vielen Stellen wieder zitiert, ferner im Thema des Minuettos, das im übrigen eigentlich eine Spiegelung des 1. Themas
des 1. Satzes ist und im Thema des Finales.
Im Winter 1838/39 begab sich Chopin nach Mallorca, in der Hoffnung, dort seine Tuberkulose kurieren zu können. Laut George Sand muss aber der Aufenthalt eher traumatisch gewesen sein, seine
Krankheit verschlimmerte sich, er war gezwungen, in einem verlassenen Kloster zu wohnen. Die Aura dieses Ortes muss schauerlich gewesen sein, es steht jedenfalls fest, dass Chopin einige seiner
dunkelsten Kompositionen dort schuf, so auch das dritte Scherzo.
Nach einer in kahlen unisono Klängen gehaltenen Einleitung türmt sich das cis-Moll-Thema in Oktaven auf, wild und furchteinflößend. Dieser Charakter durchzieht die Eckteile, der Klavierklang wird
ausgereizt bis in klirrende Schärfen hinein. Der Mittelteil folgt in sich einem A-B-A-Schema. Die A-Teile bestehen aus einem Choral, der von den Klängen eines fernen Carillions beantwortet wird. Im
B-Teil erklingen plötzlich fast heitere Arpeggien, auch sie sind mit Glockenklängen durchsetzt. In der düsteren Gesamtatmosphäre des Werkes wirken sie seltsam deplatziert, verfremdend. Vor allem
wegen dieses Mittelteils hat man das 3. Scherzo auch das "Mystische" genannt und es ist diese Seite Chopins, die Skrjabin stark geprägt hat.
In der Coda inszeniert Chopin so etwas wie komponiertes Chaos. Wenn Schumann über den Schlusssatz der Chopinschen b-Moll-Sonate sagte, dieser sei keine Musik, so ließe sich das vielleicht auch über
diesen genialen Schluss sagen.
Die g-Moll-Ballade könnte man als freien Sonatenhauptsatz lesen. Nach einer Einleitung erklingt das berühmte 1. Thema. Wenn unerfüllbare Sehnsucht ein Merkmal der Romantik ist, dann dürfte man wohl
dieses intensive Espressivo als Prachtexemplar eines romantischen Themas bewundern. In meisterhafter Verarbeitung und Fortentwicklung wird es in eine erste große dramatische Klimax
hineingeführt.
In scharfem Kontrast hierzu bewegt sich das innige 2. Thema, es ruht in sich. Es wird im Verlauf der Durchführung zu einem positiven, freudigen Höhepunkt geführt, äußerst virtuose Spielfiguren
springen enthusiastisch hervor. Es scheint als könne die Geschichte sich zu einem guten Ende bewegen, aber das erste Thema zieht wieder dunkel herauf, diesmal durchsetzt von oktavierten Hohlklängen
und das Werk endet tragisch wie so viele Werke Chopins.
In solchen Momenten, wenn Chopin zwischen den Polen des Dunklen und des Hellen hin und her mäandert, zeigt sich am deutlichsten seine improvisatorische Kompositionsweise. Er erschuf alle Werke am
Klavier sitzend und ohne Notation aus der Improvisation heraus formend. Dann kam der für ihn quälende Prozess des Niederschreibens. Er soll manchmal an einigen Passagen tagelang herumgebastelt haben,
um dann zuletzt doch die anfängliche Version zu behalten.
Auch in den Nocturnes zeigt sich der Improvisator Chopin wie vielleicht in keinem anderen der von ihm bevorzugten Gattungen. Auch seine leidenschaftliche Verehrung des Belcanto-Gesanges findet in den
Nocturnes ihren Niederschlag. Sicher waren die Nocturnes Chopins Kreativwerkstatt.
Most underestimated composer, dies hätte auf Josef Haydns Visitenkarte stehen können. In Wahrheit ist seine Produktivität in Quantität und Qualität, auch Originalität und traditionsbegründende
Urheberschaft unfassbar. Seine Bedeutung für die Entwicklung von Sinfonie und Streichquartett ist unstrittig. Wie aber sind seine Verdienste um die Klaviersonate zu bewerten?
Im Gegensatz zu Mozart und Beethoven war Haydn kein konzertierender Pianist und komponierte für Amateurpianisten von allerdings teilweise herausragendem Können. Besonders zu nennen wären hier die
berühmten Auenbrugger Sonaten, benannt nach den Schwestern Auenbrugger. Auch Therese Jansen Bortolozzi, einer Schülerin von Clementi, widmete er zwei seiner Londoner Sonaten.
Eingehend auf das Können dieser jungen Damen und gleichzeitig die Entwicklung des Pianoforte äußerst interessiert im Blick habend und darauf reagierend, wandte sich Haydn vom Cembalo ab und schuf
einige der bedeutendsten Klavierkompositionen des 18. Jahrhunderts, zu denen zweifellos auch die 62. Sonate in Es-Dur zählt. Zum Zeitpunkt der Komposition dieses Werkes hatte Haydn auch die stabile
und höheren Belastungen standhaltende englische Mechanik kennengelernt, man fühlt es förmlich, wie Haydn hier eine Entwicklung aufgegriffen hat.
Der Pianist hat in diesem Werk die Chance äusserst virtuos und facettenreich zu agieren. Es ist auch kein Zufall, dass Beethoven seine 3 Sonaten Opus 1 Joseph Haydn gewidmet hat und damit auch
dokumentierte, welche Bedeutung er seinem Lehrer beimaß.
Von den Romantikern der ersten Generation - Schumann und Chopin geboren 1810, Liszt 1811 - war zweifellos Mendelssohn, geboren 1809, der Traditionalist. Sicherlich eines der größten
Wunderkinder aller Zeiten, genoss er früh auf allen Gebieten eine herausragende Ausbildung. Er war Pianist, Violinist, Bratschist, Organist, Dirigent, Musikunternehmer... und Komponist. Er starb nach
einem aufreibenden und von Arbeit erfülltem Leben viel zu früh 1847 an einem Gehirnschlag.
Seine unglaublichen Leistungen auf nahezu allen Feldern der Komposition sind bekannt, ebenso seine Verdienste auf dem Gebiet der Bach-Rezeption, die er nicht nur maßgeblich wiederbelebte, sondern bei
der er sich auch schon früh um eine authentische Aufführungspraxis bemühte (die damals kursierenden Fassungen missachteten u.a. sogar die von Bach ursprünglich vorgesehenen Besetzungen).
Interessant ist, wie Mendelssohn in seinem wohl berühmtesten Werk für Soloklavier vorgeht, den Variations sérieuses. Bach, Beethoven und später Brahms behalten in ihrer Variationstechnik vor allem
den Bass bei und bauen darüber Gebilde, die zwar gelegentliche Motive der Melodik des Themas enthalten, aber im Grunde von dieser unabhängig sind. Mozart und z.B. Reger in den Mozartvariationen
variieren vor allem die Melodiestimme.
Mendelssohn nun verwendet beide Techniken und erreicht damit ein Höchstmaß an Vielfalt. Die Variations sérieuses sind zweifellos eines der rein manuell schwierigsten Werke der romantischen
Klavierliteratur, fast die gesamte
Klaviertechnik wird darin abgerufen.
Sergej Rachmaninoff war im Grunde ein großer Naiver. Bei ihm fühlt man sich an das Goethewort erinnert, nach dem das wahre Genie nur in der Einsamkeit reife. Was scherte ihn die aufbrechende
Moderne, er blieb - zunächst - reiner Romantiker, er blieb einfach Rachmaninoff. In dieses Bild passt eine Anekdote, die Claudio Arrau erzählte: Rachmaninoff habe ihm nach einem Klavierabend, den er,
Arrau, gegeben hatte, zu den Beethovenschen Eroicavariationen gratuliert, er habe dieses Werk gar nicht gekannt(!)
Ebenso berichtet Arrau, Rachmaninoff habe, wenn er spielte, alles nach Rachmaninoff klingen lassen, er interpretierte nicht Werke anderer Komponisten, er adaptierte sie einfach. Sein Spiel wurde als
nüchtern und streng empfunden, er hatte den Spitznamen "der Puritaner". Skandal auslösend war z.B. ein Skrjabin gewidmetes Gedenkkonzert, bei welchem er Werke des verstorbenen Meisters aufführen
sollte. Sein "Adaptionsverfahren" brachte nicht nur die Skrjabinjünger auf die Palme, auch ihm wohlgesonnene Hörer fanden, dass er den Geist Skrjabins in keiner Weise wiedergegeben habe. Eigentlich
wollte er kein Pianist sein, sondern nur komponieren. Die Wirren der Revolution zwangen ihn letztlich mit seiner Familie zu emigrieren und doch zu konzertieren. So wurde er sozusagen gegen seinen
Willen einer der gefragtesten und bestbezahlten Pianisten seiner Zeit.
Das gleichsam "aus der Zeit gefallen sein" des Komponisten Rachmaninoff ist wahrscheinlich der Grund, warum seine Musik auch von teilweise sehr ernsten Musikern als oberflächlich angesehen wird. Doch
in Wirklichkeit ist sein Naturell äusserst introvertiert und tief schürfend. Äußere Effekthascherei ist ihm fremd. Eine übersteigerte Selbstkritik ließ ihn immer wieder als Komponist völlig
verstummen und stürzte ihn in schwere seelische Krisen, die er teilweise nur durch ärztliche Behandlung überwinden konnte. So widmete er beispielsweise sein 2. Klavierkonzert Dr. Nikolai Dahl, der
ihn durch die damals neu entwickelte Therapiemethode der Hypnose aus seiner ersten großen Krise rettete.
Seine Klaviersätze sind sehr polyphon, komplex. Oft ist jede Hand gleichzeitig mit mehreren Klangebenen beschäftigt. In den Etüden op. 39 spricht aber nicht mehr der romantische Rachmaninoff des
Prelude op. 32/12. Die Etuden entstanden 1917 - kurz darauf musste er seine Heimat verlassen. Aus dem Feuer der Revolution geboren, spiegeln sie die Dunkelheit und Verzweiflung dieser Zeit wider. In
jeder der Etüden wird thematisches Material des "Dies irae", einer fixen Idee Rachmaninoffs, eingewoben. Die Etüden op. 33 und vor allem op. 39 weisen mit vielen Passagen in die Moderne hinein.
Prokofiew verdankt ihnen viel, mehr als er wahrhaben wollte.
Romuald Noll, 2015